Der Zeitkurier, Roman von Wesley Chu
Posted: 25.06.2018, 12:55
Der Roman Der Zeitkurier erschien im Herbst 2017 als deutsche Neuerscheinung bei Heyne.
Ich habe ihn für das Paradise-Magazin des Terranischen Club EdeN (TCE) gelesen und rezensiert.
Hier noch einmal für die Foristen dieses Forums mein Text:
Inhalt:
Rezension:
Mir hat der Roman rundherum gefallen. 492 Seiten, die sich schnell lesen ließen und dabei von der ersten bis zur letzten Seite fesselten.
Nicht nur durch den lockeren und spannenden Schreibstil des Autors, genauso durch die aufgezeigte höchst aktuelle Zeitreise-Thematik und besonders die eindrucksvollen Personencharakteristiken.
Der Autor fängt gar nicht erst mit dem altbekannten „Großvaterparadoxon“ an. Er entwirft ein Zeitreiseszenario auf naturwissenschaftlicher Basis, wie es im Moment unter Wissenschaftlern ernsthaft diskutiert wird.
Grundsätzlich entwickelt der Autor ein Zeitreise-Szenario, das dem Film „Millenium – die 4. Dimension“ von 1989 gleicht. In dem Film holt man Personen, die keine Überlebenschance in ihrer eigenen Gegenwart haben, in die Zukunft. Beim Zeitkurier ist gerade das streng verboten. So oder so – mit diesen „verlorenen“ Personen können keine Zeitparadoxa ausgelöst werden.
Das Thema „Zeitkorrektur“ nimmt ebenfalls großen Raum ein. Denn der erste Einsatz von Shizzu auf der Nutris-Plattform hat genau dieses Ziel. Alle töten, die eventuell in der Vergangenheit die Weichen anders stellen könnten und so die eigene Macht weiterhin sichern.
Wieder einmal wird mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Es wird allgemein streng darauf geachtet, dass die (Zeitreise-)Gesetze eingehalten werden. Das gilt nicht für die Mächtigen. Sie scheuen nicht davor zurück, die Gesetze selbst zu brechen, um den eigenen Vorteil zu wahren.
Die Personen sind keine „leichte Kost“. Es dauert, mit ihnen wirklich warm zu werden. Z.B. die Hauptperson, der Chronaut James Griffin-Mars, ist recht gewöhnungsbedürftig. Eigentlich schreckt ein Alkoholiker mich als Protagonist eher ab. Aber da ich bereit war, mich wirklich auf den psychologischen Hintergrund dieses Mannes einzulassen, wurde er mir gleich viel sympathischer. Dass er noch lebt und nicht schon wahnsinnig geworden ist, spricht eher für als gegen ihn. Der Alkohol ist sein Ausweg, ohne den er nicht mehr leben würde.
Im Laufe der Handlung erlebte ich einen von Alp- und Wachträumen gepeinigten Mann, der versucht, vor sich selbst zu fliehen. Stück für Stück verwandelt er sich wieder in einen normal empfindenden Menschen. Ich bin sehr gespannt, wie er sich im zweiten Teil der Trilogie weiterentwickelt.
Sein Gegenpart ist Elise. Sie schafft es, ihn ganz langsam zu ändern, indem sie auf ihn eingeht und dabei selbst versucht, ihr eigenes Schicksal zu bewältigen. Dass sie und er sich dabei ineinander verlieben, geschieht fast zwangsläufig. Beide sind Heimatlose.
Elise muss sich nicht nur in einem fremden Land, sondern auch in einer ihr völlig unverständlichen Zeit zurechtfinden.
Dass sie dabei seine Anweisungen, die nur ihrer Sicherheit dienen, nicht immer befolgt, liegt sicher nicht an unvernünftigem Trotz, sondern an ihrer eigenen Neugier und daran, dass sie ihm helfen will. Nur – sie kennt die Gegenwart nicht und macht dadurch entsprechende Fehler, die teilweise recht gefährlich sind.
Grace Priestley ist eine alte Frau, die sich ihres Wissens und ihrer Intelligenz sehr bewusst ist. Nachdem James sie vor dem sicheren Tod rettet, muss auch sie sich in ihrer Zukunft zurechtfinden. Höchst interessant, wie sie gerade durch ihre Hochbegabung mit den anderen Menschen interagiert. Sie muss mit allen zurechtkommen: Elise, der jungen Wissenschaftlerin, die sie und ihre Art zuerst nicht mag; James, dem Mann, in dem sie eine Art Sohn sieht und den primitiven Menschen, die auf den Dächern von halb zerstörten Wolkenkratzern Gemüse anbauen, um zu überleben.
Grace meistert ihr Schicksal gleichsam mit Zynismus und einem eigenartigen Charme, der jeden unvoreingenommenen Leser für sie einnehmen sollte. Mir gefiel sie sogar noch weitaus besser als James.
Der Lotse Smitt zweifelt eine Weile, ob er zu James halten oder ihn verraten soll. Er entscheidet sich für den alten Freund und bezahlt seine Treue mit dem Leben.
Sehr eindrucksvoll geschildert, besonders seine Überlegungen und Gewissensbisse.
Dann ist das noch die Securitate des Valta-Konzerns. Der totale Gegenpart zu allen anderen Personen. Zählen schon für die Direktoren der ChronoCom die normalen Menschen nicht viel, so bedeuten sie ihr gar nichts. Im Gegenteil. Sie lebt ihre sadistischen Neigungen bei jeder Gelegenheit aus, indem sie Gefangene misshandelt und foltert.
Gerade dieser bunte „Personenteppich“ macht zusammen mit der Zeitreisethematik den Reiz des Romans aus.
Letztlich geht es allen um ein gemeinsames Ziel: auf diese oder jene Weise von den Zeitreisen zu profitieren. Für die einen sind sie die letzte Chance, um lediglich zu überleben – für andere sind sie die Quelle ihrer Macht.
Wer diesen Kampf gewinnt, wird wohl erst der dritte Teil aufklären.
Der zweite Teil erschien 2016 in der amerikanischen Original-Ausgabe. Wann er in deutscher Sprache erscheint, weiß ich bisher nicht.
Wer jetzt schon die Fortsetzung lesen möchte, müsste sich die englische Ausgabe zu Gemüte führen.
Am dritten Band schreibt der Autor im Moment noch.
Ich empfehle den Roman jedem, der sich für die moderne wissenschaftliche Zeitreisetheorie, Psychologie der Personen und mögliche soziale Gesellschaftssysteme der Zukunft interessiert. Wobei die Action auch nicht zu kurz kommt.
Ich habe ihn für das Paradise-Magazin des Terranischen Club EdeN (TCE) gelesen und rezensiert.
Hier noch einmal für die Foristen dieses Forums mein Text:
Inhalt:
Rezension:
Mir hat der Roman rundherum gefallen. 492 Seiten, die sich schnell lesen ließen und dabei von der ersten bis zur letzten Seite fesselten.
Nicht nur durch den lockeren und spannenden Schreibstil des Autors, genauso durch die aufgezeigte höchst aktuelle Zeitreise-Thematik und besonders die eindrucksvollen Personencharakteristiken.
Der Autor fängt gar nicht erst mit dem altbekannten „Großvaterparadoxon“ an. Er entwirft ein Zeitreiseszenario auf naturwissenschaftlicher Basis, wie es im Moment unter Wissenschaftlern ernsthaft diskutiert wird.
Grundsätzlich entwickelt der Autor ein Zeitreise-Szenario, das dem Film „Millenium – die 4. Dimension“ von 1989 gleicht. In dem Film holt man Personen, die keine Überlebenschance in ihrer eigenen Gegenwart haben, in die Zukunft. Beim Zeitkurier ist gerade das streng verboten. So oder so – mit diesen „verlorenen“ Personen können keine Zeitparadoxa ausgelöst werden.
Das Thema „Zeitkorrektur“ nimmt ebenfalls großen Raum ein. Denn der erste Einsatz von Shizzu auf der Nutris-Plattform hat genau dieses Ziel. Alle töten, die eventuell in der Vergangenheit die Weichen anders stellen könnten und so die eigene Macht weiterhin sichern.
Wieder einmal wird mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Es wird allgemein streng darauf geachtet, dass die (Zeitreise-)Gesetze eingehalten werden. Das gilt nicht für die Mächtigen. Sie scheuen nicht davor zurück, die Gesetze selbst zu brechen, um den eigenen Vorteil zu wahren.
Die Personen sind keine „leichte Kost“. Es dauert, mit ihnen wirklich warm zu werden. Z.B. die Hauptperson, der Chronaut James Griffin-Mars, ist recht gewöhnungsbedürftig. Eigentlich schreckt ein Alkoholiker mich als Protagonist eher ab. Aber da ich bereit war, mich wirklich auf den psychologischen Hintergrund dieses Mannes einzulassen, wurde er mir gleich viel sympathischer. Dass er noch lebt und nicht schon wahnsinnig geworden ist, spricht eher für als gegen ihn. Der Alkohol ist sein Ausweg, ohne den er nicht mehr leben würde.
Im Laufe der Handlung erlebte ich einen von Alp- und Wachträumen gepeinigten Mann, der versucht, vor sich selbst zu fliehen. Stück für Stück verwandelt er sich wieder in einen normal empfindenden Menschen. Ich bin sehr gespannt, wie er sich im zweiten Teil der Trilogie weiterentwickelt.
Sein Gegenpart ist Elise. Sie schafft es, ihn ganz langsam zu ändern, indem sie auf ihn eingeht und dabei selbst versucht, ihr eigenes Schicksal zu bewältigen. Dass sie und er sich dabei ineinander verlieben, geschieht fast zwangsläufig. Beide sind Heimatlose.
Elise muss sich nicht nur in einem fremden Land, sondern auch in einer ihr völlig unverständlichen Zeit zurechtfinden.
Dass sie dabei seine Anweisungen, die nur ihrer Sicherheit dienen, nicht immer befolgt, liegt sicher nicht an unvernünftigem Trotz, sondern an ihrer eigenen Neugier und daran, dass sie ihm helfen will. Nur – sie kennt die Gegenwart nicht und macht dadurch entsprechende Fehler, die teilweise recht gefährlich sind.
Grace Priestley ist eine alte Frau, die sich ihres Wissens und ihrer Intelligenz sehr bewusst ist. Nachdem James sie vor dem sicheren Tod rettet, muss auch sie sich in ihrer Zukunft zurechtfinden. Höchst interessant, wie sie gerade durch ihre Hochbegabung mit den anderen Menschen interagiert. Sie muss mit allen zurechtkommen: Elise, der jungen Wissenschaftlerin, die sie und ihre Art zuerst nicht mag; James, dem Mann, in dem sie eine Art Sohn sieht und den primitiven Menschen, die auf den Dächern von halb zerstörten Wolkenkratzern Gemüse anbauen, um zu überleben.
Grace meistert ihr Schicksal gleichsam mit Zynismus und einem eigenartigen Charme, der jeden unvoreingenommenen Leser für sie einnehmen sollte. Mir gefiel sie sogar noch weitaus besser als James.
Der Lotse Smitt zweifelt eine Weile, ob er zu James halten oder ihn verraten soll. Er entscheidet sich für den alten Freund und bezahlt seine Treue mit dem Leben.
Sehr eindrucksvoll geschildert, besonders seine Überlegungen und Gewissensbisse.
Dann ist das noch die Securitate des Valta-Konzerns. Der totale Gegenpart zu allen anderen Personen. Zählen schon für die Direktoren der ChronoCom die normalen Menschen nicht viel, so bedeuten sie ihr gar nichts. Im Gegenteil. Sie lebt ihre sadistischen Neigungen bei jeder Gelegenheit aus, indem sie Gefangene misshandelt und foltert.
Gerade dieser bunte „Personenteppich“ macht zusammen mit der Zeitreisethematik den Reiz des Romans aus.
Letztlich geht es allen um ein gemeinsames Ziel: auf diese oder jene Weise von den Zeitreisen zu profitieren. Für die einen sind sie die letzte Chance, um lediglich zu überleben – für andere sind sie die Quelle ihrer Macht.
Wer diesen Kampf gewinnt, wird wohl erst der dritte Teil aufklären.
Der zweite Teil erschien 2016 in der amerikanischen Original-Ausgabe. Wann er in deutscher Sprache erscheint, weiß ich bisher nicht.
Wer jetzt schon die Fortsetzung lesen möchte, müsste sich die englische Ausgabe zu Gemüte führen.
Am dritten Band schreibt der Autor im Moment noch.
Ich empfehle den Roman jedem, der sich für die moderne wissenschaftliche Zeitreisetheorie, Psychologie der Personen und mögliche soziale Gesellschaftssysteme der Zukunft interessiert. Wobei die Action auch nicht zu kurz kommt.