Geschichten rund um Synthesizer

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Laurin
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Geschichten rund um Synthesizer

Post by Laurin »

Ich bin bei YT gerade über diese anrührende Lebensgeschichte von Tom Oberheim gestoßen:

Tom ist der wohl heute noch einzige Lebende einer Reihe genialer Erfinder von analogen Synthesizern aus den USA. Die bekanntesten legendären Namen waren damals:

ARP, gegründet von Alan Robert Pearlman (1925-2019)
Moog, gegründet von Robert Moog (1934-2005)
Sequential Cirquits, gegründet von Dave Smith (1950-2022)
Oberheim, gegründet von Tom Oberheim, geb. 1936

Am bekanntesten wurden davon wohl die Moog-Synthesizer, durch Musiker wie ELP, welche diese riesigen Modularsysteme auf ihren Touren einsetzten, und später vor allem durch den Minimoog, der bei vielen Bands quasi Standard wurde. ARP galt immer ein bisschen als technisch verspielt, während SCI (Sequential Cirquits mit ihren Prophet Synthesizern) und Oberheim dann vor allem mit sehr gut klingenden polyphonen Systemen punkteten. Der Sound von Synthesizern veränderte auf revolutionäre Weise die Musik und auch unsere Hörgewohnheiten.

Aber auch in anderen Ländern wurden Synthesizer hergestellt (davon später vielleicht einmal mehr). Langfristig konnten sich aber vor allem die japanischen Firmen Yamaha, Roland und KORG etablieren.

Die meisten der bis in die 80er hergestellten Synthesizer basierten auf der Basis analoger Schaltungen, und benutzten die sogenannte 'Subtraktive Synthese', bei der die Obertöne einfacher Wellenformen wie Sägezahn oder Rechteck durch resonierende Filter mit variabel einstellbarem Verhalten zu spezifischen Klangverläufen geformt werden konnten. Man versuchte damit Klänge wie Cembalo, Flöten, Streicher, Klaviere oder Orgeln nachzuahmen - oder ganz neue von akustischen Instrumenten nicht bekannte Klänge zu erzeugen. Das Nachahmen akustischer Instrumente hatte mit dieser im Grunde recht einfachen Synthesemethode aber deutliche Grenzen und erreichte nie die Originale. Faszinierender waren dafür neue Klänge, wie man sie bei ELP, Tangerine Dream und anderen hören konnte.

Dann kam das Jahr 1983, und Yamaha brachte einen auf einer komplizierten digitalen Synthese (der FM) basierenden Synthesizer zu einem überraschend moderaten Preis heraus, die DX-Serie. Die mit dieser Synthese ausgestatteten Synthesizer waren zwar eigentlich nur noch von Nerds zu programmieren, verfügten aber plötzlich über verblüffend realistisch klingende Nachahmungen akustischer Instrumente. Die Folge: Alle wollten das Neue, verscherbelten ihre alten Instrumente zu Schleuderpreisen auf dem Gebrauchtmarkt, und kauften sich die neuen DX-Synthesizer, die aufgrund der digitalen Technik auch deutlich günstiger als ihre analogen Vorfahren waren. Etwa gleichzeitig eroberten auch Samples-basierende digitale Keyboards den Markt (heute manchmal etwas verächtlich als 'ROMpler' bezeichnet). Und innerhalb nur weniger Jahre waren alle oben aufgeführten amerikanische Firmen pleite, nur die größer und breiter aufgestellten japanischen Firmen überlebten.

Diese 'digitale' Euphorie währte aber nicht allzu lange. Im Laufe der Jahre stellten sich nämlich neben den Vorteilen der besseren Nachahmung auch immer mehr gravierende Nachteile der digitalen Geräte heraus. Bei den digitalen Sample-basierten Geräte klang eigentlich jeder gesampelte Ton immer gleich, und irgendwie auch kalt - es fehlt die Lebendigkeit der gesampelten Originale bzw. die als 'Wärme' empfundene Varianz analoger Schaltungen, die sich alleine durch die Temperaturänderungen der Bauteile (ähnlich wie bei akustischen Instrumenten) ständig minimal ändert, was einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Klangcharakter und Stimmung hat. Dazu war es auch mühsam und wenig intuitiv, über Zahlenwerte die Einstellungen kaum verständlicher Synthesemodelle zu verändern, und man vermisste den schnellen Zugriff auf analoge Elemente mittels Knöpfen und Reglern bei Life-Sessions. Bereits Ende der 90er begann, vor allem in der Technoszene, so eine Art Gegenbewegung zu den digitalen Geräten - manche alten noch in den 80ern billig verschleuderten Geräte bekamen plötzlich Kultstatus und wurden rar - und hochpreisig teuer!

Auch die alten Pioniere registrierten das, und begannen, durch den unverhofften neuen Bedarf an analogen Synthesizern ermutigt, im neuen Jahrtausend wieder mit der Reaktivierung ihrer alten Firmen und dem neuen und modernisierten Bau der Klassiker. Bob Moog schaffte einen Neustart seiner Firma, auch Dave Smith und Tom Oberheim bauten wieder Synthesizer - beide allerdings zunächst unter anderen Firmennamen. Dave Smith hatte seinen Firmennamen an Yamaha verloren, Tom Oberheim an Gibson und Behringer (berühmt berüchtigt für Synthesizer-Klone). Aber der Respekt vor den legendären Pionieren und ihrer Leistung brachte die Lenker der inzwischen viel größeren Musikinstrumenten-Konzerne schließlich dazu, die Namensrechte an die beliebten Gründer wieder zurückzugeben - eine bei Firmen wirklich seltene Geste. Zuerst bekam Dave Smith 2015 seine Namensrechte an Sequential Cirquits zurück, und auch Tom Oberheim bekam 2019 schließlich seine Markenrechte zurück, der nun endlich wieder, trotz seines hohen Alters, unter eigenem Namen seine legendären und teuren Maschinen produzieren kann. Das Tom Oberheim betreffende Stück Musikgeschichte wird in dem oben verlinkten Video von Tom selbst sehr schön erzählt.


Abschließend sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass beide Arten von Instrumenten, digitale und analoge, heute im elektronischen Instrumentenbau ihre Daseinsberechtigung gefunden haben und nicht mehr weg zu denken sind. Digitale, also rechnerbasierte Instrumente sind eindeutig günstiger herzustellen, und gerade bei der Nachahmung akustischer Instrumente wie z.B. realistischen Klavierklängen den analogen Synthesizern klar überlegen, dazu wurden auch Wege gefunden, diese Nachahmungen nicht mehr so steril und künstlich klingen zu lassen wie in der Anfangszeit. Analoge Synthesizern werden aufgrund des 'warmen' und irgendwie 'reichen' Klangverhaltens heute gern für die Erzeugung eigenständiger Klänge mit rein synthetischem Charakter verwendet, bzw. wenn man in Life-Situationen den Direktzugriff auf die wichtigsten Klangparameter haben möchte. Daneben findet man aber auch jede Menge hybrider Mischformen, auch ganz andere Formen digitaler Synthese, oder rein virtuelle Emulationen auf dem Rechner, die mit am günstigsten ausfallen.
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giffi marauder
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